Piz Bernina (4049 m) - Biancograt

Bericht
22.-23. Juli 2000

Vor etlichen Jahren waren wir im Oktober an der Fuorcla Prievlusa gescheitert, weil der Weiterweg dort ziemlich vereist war. Dieses Jahr sollte das kein Problem sein, denn vom Frühjahr her liegt noch viel Schnee, und die letzten Wochen ist in der Höhe noch einiges dazugekommen.
So steigen wir in schönem Wetter am Samstag zur Tschiervahütte auf. Der Schweizer Wetterbericht hat für morgen stabiles Schönwetter angesagt, gegen Abend soll es von Westen her Regen und Gewitter geben.
Kreuzotter
Kreuzotter auf dem Weg, etwas oberhalb Pontresina

Kurz vor der Tschiervahütte
Kurz vor der Tschiervahütte überblickt man den größten Teil des Biancograts.

Etwas erstaunt sind wir daher über den ziemlich bedeckten Himmel am Sonntagmorgen. Im Lauf der Zeit lockern sich die Wolken in Richtung Westen aber immer mehr auf, so dass wir uns keine Sorgen mehr machen. Um halb vier sind wir von der Hütte aufgebrochen, um 6:40 sind wir an der Fuorcla Prievlusa (3430 m).
Unterwegs zur Fuorcla Prievlusa
Unterwegs zur Fuorcla Prievlusa

erster Fels oberhalb der Fuorcla
Das erste Stück Fels oberhalb der Fuorcla

Sonnenaufgang
Der Sonnenaufgang findet zwischen dunklen Wolkenschichten statt.

Die Route ist fest und gut versichert
Die Route ist fest und gut versichert.

Hier beginnt der Biancograt mit einem felsigen Aufschwung. Die Felsen sind fest und gut gegliedert, die Sicherungsmöglichkeiten reichlich. Nach etwas über einer Stunde liegt dieser Teil hinter uns, ab jetzt verläuft die Route im Firn. Das Wetter hat sich mittlerweile doch etwas zugezogen, und plötzlich beginnt es zu stürmen und zu schneien.
am Ende des ersten Felsstücks
Am Ende des ersten Felsstücks

Piz Prievlus
Blick zurück, hinten der Piz Prievlus.

Nach einem kurzen schmalen Stück mit reichlich Tiefblick wird der Grat bald breit und steilt sich auf. Die Spur ist aber gut ausgetreten, bis auf ein kurzes etwas eisiges Stück ist der ganze Grat fast enttäuschend einfach. Um 9:30 erreichen wir den Piz Alv (Piz Bianco), auf dem bei 3995 m Höhe der Firngrat endet. Das Wetter ist mal so, mal so. Meistens sieht man so an die hundert Meter weit, es ist kalt und stürmisch. Der Schneefall hat aber zumindest aufgehört, manchmal kann man sogar die Sonne ahnen.
Beste Verhältnisse am Firngrat
Der Firngrat beginnt, die Verhältnisse sind bestens.

vor dem Piz Bianco
Bald ist der Piz Bianco erreicht.

etwas Aussicht
Manchmal gibt es auch etwas Aussicht.

Der nun folgende Felsgrat ist sehr scharf und ausgesetzt. Durch den vielen, gut verfestigten Schnee bietet aber auch die horizontale Traverse bis über die Berninascharte keine Schwierigkeiten. Nur die etwas umständliche Seilhandhabung der Gruppe vor uns bremst uns hier deutlich aus - überholen kann man an dem engen Grat nicht. Der Schartenturm wird rechts umgangen, hier ist das einzige Stück, das keine ordentliche Sicherung zuläßt. Wieder zurück auf den Grat, und wieder in leichtem Gelände geht es bis zum Gipfel. Um 12:30 kommen wir dort an. Unser zweiter Besuch auf dem einzigen Viertausender der Ostalpen, 4049 m. Vor ein paar Jahren waren wir Anfang Mai auf einer Skitour hier. Damals war der Rückweg sehr einfach, weil die großen Spaltenzonen gut verschneit waren. Heute - Ende Juli - ist das anders.
am Grat
Jenseits des Pizzo Bianco wird der Grat felsig und steil

Blick zurück
Blick zurück; dieser Teil war zwar ausgesetzt, aber einfach.

Gipfelaufschwung
Der Gipfelaufschwung, endlich wieder etwas Sonne.

Gipfel
Auf dem Gipfel, 4049 m.

Spallagrat
Der Spallagrat begrüßt uns mit heftigem Seitenwind.

Der Spallagrat hinunter hat zwei Abseilstellen zu bieten, an denen es sich wieder vorzüglich staut. Mittlerweile beträgt die Sicht nur noch ein paar Meter, entlang der Spuren tasten wir uns zum Rifugio Marco e Rosa, wo wir um 14:30 ankommen.
Nun sind wir schon elf Stunden unterwegs. Es beginnt wieder zu stürmen, und diesmal kommt ekliger Schneefall dazu. Wollen wir lieber hier bleiben und morgen in Ruhe ins Tal absteigen? Der Wetterbericht hat für morgen aber wirklich Schlechtwetter angesagt - und wenn es während der Nacht die Spur zuschneit, haben wir ohne Sicht keinerlei Chance, den Weg über die Bellavista-Terrasse zu finden. Also kämpfen wir uns weiter.
Wir sehen gerade mal ein paar Meter weit, aber die Spur ist noch gut zu erkennen. Die Gegensteigung von insgesamt knapp zweihundert Metern auf die Bellavista-Terrasse wird natürlich sehr mühsam. Besonders da die "Terrasse" eigentlich keine ebene Fläche ist, es geht immer rauf und runter. Mittlerweile ist es auch endgültig scheußlich geworden: Starker Westwind und ein nasses Schnee/Regen-Gemisch prasselt auf uns nieder. Alles ist durchnässt - was wir am Mount McKinley gut verhindern konnten, wird uns das nun hier passieren, die Finger erfrieren? Hätten wir uns nur auf Marco e Rosa verkrochen, bis der Sommer wieder kommt. Alles ist so scheußlich nass und kalt.
Irgendwann kommt die Abzweigung nach links zur Fortezza. Endlich in Sicherheit? Von wegen. Den obersten Teil der Fortezza-Felsen kann man zwar linksseitig über ein steiles Schneefeld umgehen, aber am Ende kommt man wieder in die Felsen. Wie es sich dann auch gehört, klappt dann gar nichts mehr: Mit klammen Fingern läßt man Skistöcke in Felsspalten fallen, die Knoten wollen nicht gelingen, und nach dem Abseilen will sich das Sch..Seil natürlich auch nicht abziehen lassen. Das alles natürlich immer noch in Schneeregen und Wind, man kann sich unsere Begeisterung nach nun 14 Stunden ausmalen. Aber jetzt wird es endlich einfacher. Alles nur noch eine Frage der Zeit, und es hat auch wieder zu schneien aufgehört. Knapp sechs Uhr abends jetzt. Diverse Schneefelder, aufgeweicht und mühsam, und dann Geröll und der Morteratschgletscher.
Um halb neun endlich die Gletscherzunge, kurz vor neun bin ich am Bahnhof Morteratsch. Der Fahrplan dort ist eigentlich keine Überraschung: Nach halb acht ist hier tote Hose. Zum Glück treffe ich am Bahnhof ein Touristenpärchen aus Würzburg, das mich dankenswerterweise sofort nach Pontresina mitnimmt, wo ich dann das Auto holen kann.
Durchnäßt wie wir sind, macht eine Übernachtung irgendwo im Engadin keinen großen Sinn. Die Fahrt macht - erstaunlicherweise, nach so einem Tag - aber auch keine Probleme, und so sind wir nachts um halb eins wieder zuhause am Bodensee.

Praktische Information

Schwierigkeit
Allgemein ZS, Fels III. Genaueres siehe unten.
Hütte
Chamanna da Tschierva CAS, Tel. 081-8426391. Seit 1998 neuer Hüttenwart, und nach erstem Eindruck ganz nett. Übernachtung SFr 20/29 (Mitgl./Nichtmitgl.), etwas erstaunlich der hohe Preis für Heisswasser von Fr. 4.- pro Liter. Aufstieg von Pontresina ca. 3 1/2 - 4 Stunden.
Aufstieg zur Fuorcla Prievlusa
Von der Tschiervahütte folgt man dem Weg Richtung Gletscher bis zur zweiten Wasserrinne. Dort steht ein großer Steinmann, an dem man nach links den Moränenrücken hoch geht. Zur Orientierung bei Nacht sind an einigen Blöcken Reflektoren angebracht. Weiter oben führt der Weg dann nach rechts in eine lange Querung weit über dem Gletscher, um auf 2950 m dann eine flache Gletscherpartie oberhalb der ersten Spaltenzone zu erreichen. Nun nach links aufwärts über eine Stelstufe (Gletscher und Felsplatten/Schutt) ins obere Gletscherbecken. Von hier hält man sich am linken Rand des großen Schnee/Eishangs auf der rechten Seite des Tals. Sobald der Felsriegel es erlaubt, kann man nach links zur Fuorcla Prievlusa aufsteigen. Im Spätsommer macht der Eishang üblicherweise große Probleme, weil er dann völlig blank ist. Ca. 3-4 Stunden.
Die erste Felspassage
Bei viel Schnee - wie es bei uns der Fall war - geht man am Grat ein paar Meter hoch und quert ein offensichtliches Band nach rechts oben. Danach geht es im Wesentlichen etwas rechts des Grates hoch, bis man kurz vor dem höchsten Punkt nach links in die Schneehänge queren kann und dort dann den Firngrat erreicht. Diese etwa 100 Höhenmeter im Fels sind der schwierigste Teil des Biancograts, mit einigen Stellen III. Meist hat es aber sehr gute Sicherungsmöglichkeiten. Eine gute Stunde.
Firngrat
Der Firngrat ist erst sehr schmal und ausgesetzt, aber fast horizontal. Nach der Überschreitung eines felsigen Buckels wird er breiter und steiler. Abgesehen von ein, zwei blanken Stellen (die aber nicht so steil waren, dass Sicherung nötig war) war der Grat bei unserer Tour gut verfirnt und völlig unproblematisch. Etwa anderthalb Stunden.
Piz Alv - Piz Bernina
Vom Piz Alv (Pizzo Bianco) führt der Felsgrat im Wesentlichen horizontal bis über die Berninascharte. Dieses Stück ist ziemlich exponiert, aber nicht schwierig (I, oft Gehgelände). Von direkt über der Scharte seilt man an die Scharte ab, und am besten gleich danach nochmal ein Stück tiefer, bis man den Schartenturm rechts umgehen kann. Bei wenig Schnee kann man den Turm auch überschreiten, was gemäß Führer sicherer ist. Jenseits des Turms geht man eine Rinne wieder zum Grat hoch (I-II). Das ist mittlerweile keine Schneerinne mehr, sondern ziemlicher Schotter. Daher ist diese Querung das einzige Stück, das man nicht besonders gut sichern kann. Jenseits der Scharte geht es einen Hang hoch, der einfacher ist (II) als er aus der Entfernung aussieht, und danach noch ein paar Gratbuckel entlang (I) bis zum Hauptgipfel. Zur Sicherung meist Blockstand mit Bandschlingen. Zeitaufwand je nach Verkehrsaufkommen wohl 1-4 Stunden.
Abstieg über die Spedla zum Rif. Marco e Rosa
Der Firngrat ist recht ausgesetzt und insbesondere mittags, wenn der Schnee an den Steigeisen anstollt, mit Vorsicht zu genießen. Die zwei Felsstufen am besten abseilen. Leichte Gletscherhänge führen zur Fuorcla Crast'Agüzza hinunter. Bis zum Rifugio braucht man bei vorsichtiger Gehweise etwa 2 Stunden.
Rückweg über die Bellavista-Terrasse und Fortezza
Ohne Spur gäbe es bei Schlechtwetter diverse Möglichkeiten, sich in den Abbrüchen zu verirren. Ein Ausharren auf Marco e Rosa scheint daher nur vernünftig, wenn in nächster Zeit gutes Wetter zu erwarten ist. Ohne Sicht und mit zugeschneiter Spur hat man ohne millimetergenaue Ortskenntnis keine Chance, die Route über die Bellavista-Terrasse zu finden. Also: Solange die Spur noch zu sehen ist, schnell auf und davon (wie wir das entsprechend taten). Wir trafen nach etwa einer Stunde (bei ca. 3700 m) auf eine Abzweigung nach links, während eine schwache Spur geradeaus weiterging. Die linke ist dort die Richtige.
Weiter unten trennte sich die Spur nochmals: eine linke Variante zeigte hauptsächlich Abstiegsspuren, die rechte Spur war deutlicher. Wir folgten der rechten, die auf die Fortezza zurührte. Die linke hätte durchs Loch (la Foura) geführt und wäre wesentlich einfacher gewesen. Im Spätsommer kann die Foura aber wegen der offenen Spalten unmöglich werden. Unsere Erfahrungen von der Fortezza stehen aber dermaßen im Widerspruch mit dem SAC-Führer "Bernina", der dort nur eine kurze Felsstufe erwähnt (es sind 2-4 Stufen je nach Verhältnissen, und die direkte Überkletterung der ganzen Fortezza mutet ziemlich vermessen an), dass wir mittlerweile urteilen würden: Wenn sich die Fortezza vermeiden läßt, dann sollte man das auch tun.
Weiter unten wird das Gelände schnell recht einfach. Anderthalb Stunden sollte man vom Zusammenfluss von Pers und Morteratsch zum Bahnhof noch rechnen.
Der letzte Zug nach Pontresina fährt um etwa 19.20.
Bemerkungen
Beste Zeit: Juli. Wir hatten perfekte Verältnisse: Für den Zustieg zur Fuorcla Prievlusa war noch genug Schnee vorhanden, und im Verlauf des eigentlichen Biancograts schien der Schnee (der recht gut verfestigt war) im Fels eher vorteilhaft, auf dem Firngrat gab es sowieso bis auf das kurze Blankeisstück keine Probleme. Im Juni könnte viel Schnee besonders im oberen Bereich noch sehr lästig sein; später im Jahr ist wahrscheinlich Blankeis ein Hindernis auf dem eigentlichen Biancograt, denn dann müsste man die ganze Strecke wohl sichern.
Führer/Karte
Führer: Der neue Zustieg durch die Felsen zur Fuorcla Prievlusa ist in diesem Führer noch nicht beschrieben. Siehe Aushang in der Tschiervahütte.

Landkarte:
P.S.: Viele Schönwetterbilder vom Biancograt gibt's beim AACZ, der zwei Wochen vor uns dort war: external linkhttp://www.aacz.ch/galerie/bianco/fotopage.htm.
© 2000 Hartmut Bielefeldt

Valid HTML 4.0! Diese Seite entspricht dem HTML 4.0 Standard.
Letzte Änderung am Freitag, 9. August 2002 durch Hartmut Bielefeldt