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Gletscherspalten


Text © Hartmut Bielefeldt - Mitteilungsblatt des DAV Sektion Überlingen, 1996
Aktualisierungen 2009


Spaltenbergung

Auch wenn die Gletscher sich in den Alpen stetig zurückziehen, dürfte es (zum Glück) noch einige Jährchen dauern, bis sie ganz verschwunden sind... Um das Thema Spaltenbergung kommen wir also weiterhin nicht herum. Dieser Text soll einige wichtige Punkte zusammenfassen, aber er kann natürlich keinen Ausbildungskurs ersetzen. Für die Praxis sollte man sich unbedingt schon bei der Planung der Tour mit der Spaltengefahr auseinandergesetzt haben und regelmäßig die Spaltenbergung geübt haben (!!!). Wo immer (z.B. am Anmarschtag, auf der Hütte) Zeit ist, kann man seine Kenntnisse auffrischen, denn im Ernstfall kann man nicht lange im Handbuch nachschauen.

1. "Vorbeugung" - Am besten gar nicht erst reinfallen
Spalten kann man prinzipiell nicht verläßlich erkennen. (Außer auf dem schneefreien Gletscher, und wer da reinfällt, dem ist eher ein Optiker anzuraten als eine AV-Belehrung.)
Aber mit einem gewissen Grundverständnis der Gletscherbewegung kann man den gefährlichsten Zonen aus dem Weg gehen und schon bei der Routenwahl Spaltenzonen meiden. Auch die Tageszeit ist - besonders im Frühsommer, wo die Erwärmung am Tag sehr schnell kommt - sehr wichtig: Was morgens um fünf noch eine bombenfeste Brücke ist, bricht fünf Stunden später unter der kleinsten Belastung ein. Egal, wieviele Leute vorher schon darübergegangen sind und wie toll die Spur vielleicht aussieht. Viele Tagestouren von der Bergstation der Seilbahn aus sind dadurch gefährlich, daß die erste Bahn erst um sieben oder acht Uhr fährt und man dann mittags auf dem Gletscher unterwegs ist (z.B. Walliser Breithorn).
Und wenn es sich dann nicht vermeiden läßt, sollte man auf schneebedeckten Gletschern wenigstens am Seil gehen, und das möglichst mindestens zu dritt. Einer allein kann einen Spaltensturz nicht halten, besonders wenn der Stürzende schwerer ist als er selbst. Wichtig ist, daß an beiden Seilenden ein Seilrest übrigbehalten wird, welcher mindestens so lang ist wie der Abstand zwischen den einzelnen Seilschaftsmitgliedern.
Die legendären Knoten im Seil bringen wirklich, was sie versprechen: Ein Knoten im Seil zwischen den Teilnehmern alle zwei oder drei Meter sorgt dafür, daß das Seil nach einem Spaltensturz besser blockiert. Das gilt selbstverständlich nur, wenn Schnee liegt und das Seil sich am Spaltenrand einschneidet. Dann aber kann das Seil tatsächlich durch den Knoten vollständig entlastet werden, und das vereinfacht die Arbeit der Retter enorm.

2. Reingefallen - Und jetzt ?
Trotz der schönsten Routenwahl fällt einer der Gruppe (meistens der erste, aber nicht immer) in eine verdeckte Spalte. Zuerst kommt der Ruck, und der kann einen ganz schön umhauen. Wenn aber zwei schon liegen, kann der Dritte das Ganze nicht mehr kontrollieren - also muß man ständig auf diesen Ruck gefaßt sein. Äußerst wichtig (und anstrengend) ist es daher auch, das Seil immer möglichst straff zu halten. Je mehr loses Seil vorhanden ist, umso weiter (und schneller) stürzt das Opfer, und umso schwerer ist der Sturz zu halten.
Nun hängt er also. Übrigens hängt er bitte in Brust- und Sitzgurt. Nur mit Brustgurt übersteht man freies Hängen höchstens ein paar Minuten lebend, und nur mit Hüftgurt bricht man sich bei solchen Stürzen (10-20 m können schon mal zusammenkommen) meist das Rückgrat. Auch ältere Kombigurte sind vom Hängekomfort her meist bedenklich (am besten mal selber im Treppenhaus ein paar Minuten ausprobieren !). Die vorher eingefädelte Prusikschlinge ist so abgemessen, daß man gerade darin stehen kann, und so kann sich der Gestürzte vom freien Hängen entlasten, bis er geborgen werden kann.
Falls ohne Verlassen des Standpunkts möglich, Sprechkontakt mit dem Gestürzten herstellen und sich über seinen Zustand unterrichten lassen. Man kann oben den Gestürzten viel besser verstehen, als er unten das an der Oberfläche Gesprochene hört, denn es trieft und tropft überall eiskalt herunter.
Das Wichtigste ist es aber, den Gestürzten ohne Zeitverlust - also möglichst ohne Unterkühlung oder mehr - herauszubekommen. Ganz besonders, wenn er verletzt ist. Also muß die Spaltenbergung sofort funktionieren, und jeder muß wissen, was zu tun ist.

3. Wie kommt man wieder raus ?
Je nach der Größe der Seilschaft und dem Zustand des Gestürzten gibt es verschiedene Methoden:

3.1. Mannschaftszug
Die einfachste aller Bergungsmethoden: Alle ziehen am Seil. Funktioniert nur bei mindestens vier Ziehenden, denn zum Körpergewicht des Gestürzten kommt noch die Seilreibung am Spaltenrand. Knoten wären in diesem Fall eher hinderlich. (Trotzdem können sie beim Halten sehr wichtig sein, sonst verschwinden vielleicht alle im Loch.) Wenn eine andere Gruppe gerade in der Nähe ist und mithilft, dürfte dies die schnellste Methode sein. Vorsicht am Spaltenrand: Den Gestürzten möglichst nicht erwürgen! Auch wenn die Spalte sehr eng ist, könnte es Komplikationen geben.

3.2. Selbstbergung
Mit den (teilweise vorher eingehängten) Prusikschlingen kann der Gestürzte sich (wenn er unverletzt ist) am Seil hocharbeiten. Falls das Seil am Spaltenrand eingeschnitten ist oder die Spalte einen komplizierten Verlauf hat, ist das aber ohne spezielle Techniken nicht einfach. Oft hat man auch in der Spalte praktisch keine Bewegungsmöglichkeit. Ist der Gestürzte bei Bewußtsein und die anderen oben in Spaltenbergung nicht so fit, kann es natürlich einen Versuch wert sein (aber oben Bescheid sagen!). Dabei sollte das Seil oben fixiert sein (Fixpunkte siehe unten).

3.3. Lose Rolle
Bei einer Dreier- oder Vierergruppe ist die lose Rolle meist die schnellste Bergungsmethode. Voraussetzung ist, daß der Gestürzte zumindest bei Bewußtsein ist. Die (wichtigen!) Details können nur in regelmäßigen Übungen aufgefrischt werden ! Kurz zur Erinnerung der Ablauf: (1=Gestürzter, 2=Zweiter, 3=Dritter):
  • 1 stürzt in Spalte, 2 und 3 halten den Sturz.
  • 2 gibt an 3 Kommando, die Last zu übernehmen.
  • 3 hält, währenddessen baut 2 einen Fixpunkt (siehe unten). Hierzu sichert er sich mit seiner langen Prusik am Seil, denn es könnte ja auch hier Löcher geben. Die Prusik wird nahe am Knoten nochmal mit Sackstich oder Achter abgebunden. Wenn der Fixpunkt fertig ist, wird die Prusik am Abbindeknoten am Fixpunkt befestigt. 3 kann nun entlasten, weil die Last ja vom Prusik aufgenommen wird. Da der Abbindeknoten nah am Prusikknoten war, hat er dennoch die Bewegungsfreiheit seiner langen Prusik. Der Einbindeknoten von 2 wird geöffnet und das Seil mit Mastwurf am Fixpunkt hintersichert.
  • Nun ist 3 an der Reihe. Er/sie sichert sich mit seiner langen Prusik am Seil (Prusikknoten) und bindet auch diese Prusik nahe am Seil mit Sackstich oder Achter nahe am Seil ab. 3 entfernt nun seinen Einbindeknoten (der stört sonst später) und geht an der Prusik vor zu 2, an diesem vorbei und weiter bis an den Spaltenrand.
  • Am Spaltenrand hängt er einen Karabiner in das Seil ein, das von 2 herkommt (an diesem Seil ist er auch selbst mit seiner Prusik gesichert), und zwar jenseits seines Prusikknotens zum Seilrest hin. Nun lässt 3 von seinem Seilrest nach und lässt so den Karabiner nach untem zu 1 hin hinunter.
  • Wenn 1 den Karabiner zu fassen bekommt, hängt er ihn in seinen Anseilpunkt ein und gibt nach oben Bescheid.
  • Am Restseil von 3 etwas anziehen, um sicherzustellen dass das Seil unten ordentlich eingehängt ist.
  • Nun könnte man am Restseil den Gestürzten hochziehen, aber es fehlt noch die Rücklaufsperre, mit der die gewonnene Zughöhe gesichert wird. Hierzu bindet man in das Restseil, das zu 1 hinunterführt, die zweite Prusik von 2 ein. Mittels Karabiner wird diese Prusikschlinge an der ersten Prusikschlinge befestigt, die ja am Seil hängt, das zu 2 weiterführt. neu: damit wird die gesteckte Prusik nicht mehr benötigt.
  • Damit ist ein einfacher Flaschenzug entstanden. 3 (und 2) können den Gestürzten hinaufziehen. Nach jedem kräftigen Zug wird die Rücklaufsperre nach unten verschoben, so dass beim Loslassen das Seil möglichst nicht zurückrutscht.
  • Nach diversen solcher Manöver kann man den Gestürzten bis zur Spaltenkante hochziehen.
  • Achtung: Gefahr an der überhängenden Spaltenkante!
    Wenn das Seil im Schnee eingeschnitten ist, besteht die Gefahr, den Gestürzten am Spaltenrand zu verletzen. Bei Spaltenbergungsübungen wurden Todesfälle durch Genickbruch berichtet. Daher immer auf Verständigung mit dem Gestürzten achten, und wenn er den Spaltenrand erreicht vorsichtig und abgestimmt ziehen!
Die Länge der Prusikschlingen (auch der Selbstrettungs-Prusiks) testet man am besten selbst. Eine Prusik sollte zusammengeknotet armlang, die andere körperlang sein. Damit man im Ernstfall alles 1, 2, 3 auf die Reihe bekommt, sollte man es regelmäßig üben (-> Ausbildung).

3.3.a Lose Rolle bei nicht ansprechbarem Gestürztem
Die Lose Rolle ist im Wesentlichen die schnellste Methode zur Spaltenbergung, aber was tun wenn der Gestürzte bewusstlos ist und daher den hinuntergelassenen Karabiner nicht einhängen kann?
Hierzu gibt es eine Lösung mit einer Tibloc-Steigklemme. Man hängt in den herabzulassenden Karabiner einen Tibloc so ein, dass er sich am Seil zum Gestürzten hinunterlassen lässt, aber auf Zug nach oben blockiert. Das geht nur, wenn man mit genügend eigener Sicherheit so nah an die Spalte herankommt, dass man das Konstrukt am Seil des Gestürzten hinunterlassen kann. 1 muss also im Wesentlichen frei hängen.und man muss Zugang zu diesem frei nach unten führenden Seilstück haben.
Diese Variante und die Handhabung des Tibloc sollte auch vorher geübt werden...
Sonderfall Lose Rolle mit Tibloc
Sonderfall Lose Rolle mit Tibloc


3.4. Der Fixpunkt
Als Fixpunkt kommt im Eis nur eine Eisschraube in Frage. Titan-Eisschrauben sind mittlerweile bei extrem geringem Gewicht sehr verläßlich. Für die Spaltenbergung reicht eine Schraube (gut eingedreht), es geht schließlich um Zeit. Im Firn oder Schnee ist der beste Fixpunkt ein T-Anker: der quer zur Zugrichtung etwa einen halben bis ganzen Meter tief vergrabene Eispickel, an dessen Schaft mittels Bandschlinge das Seil befestigt ist. Auch das sollte man mal geübt haben.

4. Versicherungstechnisches
Ist der Gestürzte stark unterkühlt oder sogar bewußtlos, ist natürlich sofort die Bergrettung bzw. (CH) REGA zu benachrichtigen. Zwar haben DAV-Mitglieder einen Anspruch auf Unfallbeihilfe, es empfiehlt sich aber trotzdem, für die von uns oft besuchten Gebiete eine zusätzliche Versicherung abzuschließen:
  • Auslands-Krankenversicherung (verschiedene Anbieter, ca. EUR 8.-/Jahr) für Transportkosten vom Unfallort ins Krankenhaus (egal, ob der Unfall mit Kfz oder sonst geschehen) und vieles anderes (ggf. aufpassen, ob nur Europa/Mittelmeer oder weltweit).
  • Rettungsflugwacht REGA (für die Schweiz, Fr. 30.-/Jahr) Rettungs-, Such- und Bergungskosten in der Schweiz, wenn durch Rettungsflugwacht oder SAC erbracht.
  • erweiterte Unfallfürsorge des DAV (siehe Mitgliederheft, Achtung Ausschlüsse für außereuropäische Unternehmungen).

Übrigens...
ist bei "er" und "Gestürzter" etc. natürlich immer er/sie gemeint (Spalten sind nicht geschlechtsspezifisch).

Und..
wir üben das alles sehr gerne, auf Touren, immer wenn sich die Gelegenheit bietet, und bei speziellen Ausbildungen (z.B. Gletscherkurs, findet allerdings nicht jedes Jahr statt).


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Letzte inhaltliche Änderung am 06.10.2009 durch Hartmut Bielefeldt
Aktualisiert 2009: Lose Rolle (gesteckter Prusik nicht mehr nötig), lose Rolle bei nicht ansprechbarem Gestürztem.