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Tien Shan 1995
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Kurzzusammenfassung - Berge
"Blaublumenberg" (Karkara)2905 m
Pik Tschapajev Nordgipfel6095 mzweimal
Khan Tengri7010 m

Tien Shan Expedition 1998
Khan Tengri (7010 m)

16. Juli - 14. August 1998

Claudia Bäumler und Hartmut Bielefeldt

Verfasser dieses Textes: Hartmut Bielefeldt

Donnerstag, 16. Juli / Freitag, 17. Juli 1998
München - Wien - Almaty - Karkara

Morgens um halb acht sind wir am Flughafen München, was von Augsburg aus immerhin ganz gut funktioniert, nachdem uns Stefan dort dankenswerterweise zu nachtschlafener Zeit zum Bahnhof gebracht hat. Wir nehmen noch einen Teil des Expeditionsgepäcks vom Summit Club mit uns, um es in Almaty auf die verschiedenen Expeditionsziele aufzuteilen. Der Rest kommt per Luftfracht nach Almaty. Dieser Rest wird uns später noch öfter beschäftigen. Um 8.40 gestartet, landen wir eine Stunde später in Wien, um nun fünf Stunden auf den Langstreckenflug nach Almaty zu warten. Nach sechs weiteren Flugstunden und Vorstellen der Uhr um fünf Stunden sind wir morgens um zwei in Almaty.
Dort werden wir gleich von Leuten der dortigen Organisation in Empfang genommen, unkompliziert durch den Zoll gebracht und samt Gepäck in einen Bus verladen. Eine sechsstündige Fahrt führt uns zum Basislager Karkara, das - wie wir nun sehen - nahe der kasachisch-kirgisischen Grenze liegt, die wir 1995 auch dort per Bus passiert hatten. Wir kennen also fast die ganze Strecke schon.
Das Lager liegt gut eine Fahrstunde vom Ort Karkara auf 2250 m in einer grünen, bewaldeten Umgebung. Das Wetter ist allerdings nicht sehr überzeugend: Schon einen Teil der Strecke hatte es geregnet; hier scheint mal kurz die Sonne, und es zieht sich wieder zu und tröpfelt vor sich hin.
Das Basislager ist ähnlich wie die anderen Alpinistenlager in der ehemaligen Sowjetunion, die wir schon kennen: Je zwei Personen bewohnen ein Hauszelt, in der Kantine gibt's Frühstück, Mittag- und Abendessen. Die einzige überraschung für viele sind natürlich die morgendlichen Milchnudeln.
Der Chef des hiesigen Trekkingunternehmens, Kazbek Valiev (übrigens der erste kasachische Besteiger des Mount Everest (1982). Das sieht man ihm heute allerdings nicht mehr an), kümmert sich vor Ort um die Logistik. Als erstes Problem zeichnet sich ab, daß das Luftfracht-Gepäck zwar mit dem gleichen Flugzeug gekommen ist wie wir, aber die Abfertigung einige Tage länger dauert. Das betrifft weniger die Gruppen, die zur Marmorwand gehen (das sind 10 Leute), sondern uns und die anderen Khan Tengri-Gruppen (insgesamt 12 Leute). Wir werden also das Gepäck nicht bei unserem Flug ins Basislager, der für Sonntag geplant ist, dabeihaben und müssen auf Kocher, Zelte und Hochlagerverpflegung dort ein paar Tage warten.
Unsere erste kleine Trainingstour auf den Berg nordöstlich des Lagers artet schon fast zum Desaster aus. Wir durchqueren wunderbare Blumenwiesen, die aber immer höher und höher wachsen, bis sie gut anderthalb Meter erreicht haben. Die Mücken werden auch immer mehr; in den weglosen Steilhängen kommt man nur mühsam voran. Nach 1 3/4 Stunden ist der Gipfel (2905 m) des "Blaublumenbergs" (nennen wir ihn mal so) erreicht; der Versuch, den Abstieg auf einer direkteren Route zu machen, führt in immer steiler werdende Rinnen mit tiefem, nassem und daher wunderbar rutschigem Gras. So dauert der Abstieg fast so lang wie der Aufstieg. Immerhin aber wird wenigstens das Wetter am Nachmittag besser.
Im Lager Karkara (2250 m)
Im Lager Karkara (2250 m)
Auch hier grosse Mengen an Edelweiss
Auch hier gibt es große Mengen an Edelweiß.
Blaue Blumen

Samstag, 18. Juli 1998
Karkara

Morgens ist es wolkenlos, aber anfangs sehr windig. Da wir uns nicht wieder einen endlosen Kampf mit dem Buschwerk liefern wollen, geht's heute morgen nur spazieren, zu einem netten See nördlich des Lagers. Der Wind schläft mittags ein, und wir auch in der aufkommenden Hitze. Gegen fünf Uhr gibt es ein kurzes Gewitter, und danach regnet es von Zeit zu Zeit.
Abends ein kurzer Spaziergang ins Tal hinein, bis es wieder beginnt zu regnen.

Sonntag, 19. Juli 1998
Karkara - Inylchek

Fast die ganze Nacht hat es geregnet, aber am Morgen ist es wieder sonnig. Zum Frühstück gibt's heute sogar Spiegelei - wird wohl das letzte für ein paar Wochen gewesen sein.
Wie angekündigt um halb zehn werden wir zum Basislager Inylchek-Nord geflogen. Wir, das heißszlig;t eine vierköpfige österreichische Gruppe, eine Sechsergruppe aus der Gegend um Berchtesgaden und wir zwei. Während des vierzigminütigen Fluges geht das Grün der Landschaft recht plötzlich in ein Meer von Gletschern und Gipfeln über.
Die Gletscher des Tien Shan kommen in Sicht
Die Gletscher des Tien Shan kommen in Sicht

über einen 5000 m hohen Grat fliegen wir ins spektakuläre Nord-Inylchek-Tal mit seinem riesig langen Gletscher hinein und landen im Basislager (4200 m), wo wir sogleich vom Dolmetscher Samat in perfektem Hochdeutsch empfangen werden. Kein Wunder, wie wir später erfahren: er hat 6 Jahre Germanistik in Deutschland studiert.
Khan Tengri (7010 m), vom Basislager (4200 m) aus gesehen
Unsere "Wohnzimmeraussicht". Dreitausend Höhenmeter zu unserem Ziel.

Der Blick vom Lager auf den Khan Tengri ist spektakulär, wenn auch etwas beängstigend.
Die Bergkämme, die das Tal im Norden und Süden begrenzen, sind durchwegs hoch ohne markante Pässe und ragen steil aus dem Gletscher auf. Das Basislager liegt auf dem Gletscher, nahe des Nordrandes. Die Zelte - Hauszelte wie in Karkara - stehen auf Holzpritschen auf Eis und Geröll. Das Örtchen ist direkt über eine Spalte gebaut; es gibt ein Mannschaftszelt (wo wir 3x täglich warmes und gutes, wenn auch manchmal gewöhnungsbedürftiges Essen bekommen), eine Funkstation und eine Bar (allerdings im Freien). Letztere ist recht wenig besucht: Am Abend zieht es sich zu, es schneit etwa 5 cm.

Montag, 20. Juli 1998
Basislager - Lager 1 und zurück

Im Zelt liegt es sich ziemlich hart, da wir nur die dünnen Isomatten fürs Basislager vorgesehen haben. Wird man sich dran gewöhnen müssen.
Um 8.30 gibt es Frühstück; es folgt noch kurz ein zweiter Versuch, den Internetzugang der bulgarischen Gruppe zu konfigurieren, damit sie ihre Bilder und Berichte an ihre Agentur in Sofia schicken können. Leider ohne Erfolg.
Vor dem Losgehen bekommen wir ein Funkgerät ausgehändigt. Alle Gruppen, die am Berg sind, müssen sich täglich um 8.30, 14.30 und 17.30 melden. Um kurz vor zehn gehen wir in Richtung Lager 1 los. Zuerst fast eine Stunde ohne größere Hindernisse (nur eine etwas lästige Spalte) über den Gletscher zum südlichen Ufer, dann geht es endlich richtig bergauf. Die Route führt durch Schneeflanken mit etlichen Spalten, die aber eher freundlich gesinnt sind. Steilere Stücke sind mit Fixseilen versichert. Da wir heute die ersten sind, müssen wir die zugeschneite Spur neu austreten, was recht mühsam ist. Nach drei Stunden sind wir am "unteren", eine weitere halbe Stunde später am "richtigen" Lager 1 (4750 m) auf einem kleinen Plateau am Grat. Es gibt nur Platz für 4-5 Zelte, und zwei stehen schon da.
Ein Stündchen Tiefbauarbeiten im Geröll, und unser Zelt steht hoffentlich sicher für die nächsten Tage. Einbunkern von Hochlagerschlafsack, Isomatte und einigen anderen Ausrüstungsgegenständen, und wir gehen wieder runter. Inzwischen ist es Nachmittag, und unten in den Gletscherbächen steht das Wasser höher und erlaubt nicht den gleich Rück- wie Hinweg. Ewig weites Ausholen nach rechts, und immer wieder geht es rauf und runter über kleinere Spalten, Mulden und Bäche. Trotzdem dauert es runter nur knapp zwei Stunden.
Zurück im Basislager, werden wir gleich mit Saft (Kompott) und Suppe empfangen. über den Service kann man sich wirklich nicht beklagen. Das Wetter war den ganzen Tag bei uns recht gut, talauswärts (im Westen) sah es sehr grau aus --aber es ist nicht zu uns weitergezogen. Erst abends ab sieben Uhr schneit es leicht.
Neues vom Gepäck: Es wird voraussichtlich übermorgen bei uns ankommen.

Dienstag, 21. Juli 1998
Ruhetag im Basislager

Heute ist das Wetter eher mäßig. Das sieht nach Ruhetag aus, ist aber auch egal - Hochlagerzelte, Kocher und Hochlagerproviant kommen schließlich erst (hoffentlich) morgen. Wir können also in den Hochlagern nur schwerlich Produktives tun, uns fehlt mindestens ein Zelt für Lager 2.
Außerdem ist niemand unterwegs, wir müßten also wieder selbst spuren.
Immerhin finden sich zwei (allerdings recht schwere) Viermannzelte von der Gruppe vom Pik Bayankol, die wir übernehmen können, und auch ein kasachischer Führer, der die schweren Dinger zu Lager 1 hinaufträgt.

Mittwoch, 22. Juli 1998
Basislager - Lager 1

Mit einem Kocher von der Bayankol-Gruppe, warmen Klamotten und einigen Vorräten für weiter oben machen wir uns bei - wie üblich - mäßigem Wetter auf den Weg zu Lager 1. Nach der Gletscherquerung kommt von Westen her recht ungemütliches Wetter mit Wind und Schneefall. Erst in Lager 1, das wir nach 3 1/2 Stunden erreichen, ist es wieder besser. Durch die Sonne ist es dort angenehm warm, der naßkalte Aufstieg ist bald vergessen. Zwei unserer Kollegen kommen am Nachmittag, die andere Sechsergruppe übernachtet im unteren Lager 1, weil es dort mehr Platz gibt. Gegen Abend zieht es sich wieder zu und schneit, aber im Schlafsack ist es gemütlich warm.

Donnerstag, 23. Juli 1998
Lager 1 - Basislager

Die ganze Nacht durch hat es geschneit, aber viel liegengeblieben ist nicht - nur ein paar Zentimeter. Es will aber auch tagsüber nicht aufhören. Da wird aus unserem geplanten Vorstoß zu Lager 2 nichts. Die zwei, die das einen Tag vorher versucht hatten, waren im tiefen Schnee steckengeblieben. Jetzt wären wir zwar zehn Leute und sicher genug zum Spuren, aber die Spur wäre sowieso gleich wieder zugeschneit.
Also runter ins Basislager, den ganzen Weg übrigens im Schneegestöber. Auf den Höhenmesser zur Wettervorhersage kann man sich hier offensichtlich nicht verlassen, die Schwankungen sind recht gering (bis +/- 30 m). Aber für eine erste Faustregel könnte es genügen: Steigt der Luftdruck, dann schneit es bald; fällt der Luftdruck, dann schneit es bald ganz scheußlich.
Immerhin ist das restliche Expeditionsgepäck im Basislager angekommen; wir versorgen uns mit Vorräten, einem weiteren Kocher und einem Hochlagerzelt. Beim Durchsehen der Vorräte fragt sich nur, was wir mit soviel Knäckebrot anfangen sollen.

Freitag, 24. Juli 1998
Basislager - Lager 1

Eine uns fast unbekannte leuchtende Scheibe steht am makellos blauen Himmel. Wer hätte das gestern noch gedacht? Morgens können wir eine aufsehenerregende Lawine links der Khan Tengri-Nordwand beobachten. Gut, daß unsere Route rechts des Tals auf einem Sporn verläuft.
Der Aufstieg zu Lager 1 wird dem Wetter entsprechend gnadenlos heiß und schweißtreibend, aber es dauert wie vorgestern 3 1/2 Stunden. Jetzt haben wir genügend Ausrüstung und Essen hier, um bis zum Gipfeltag nicht mehr zurück ins Basislager zu müssen. Wenn alles wie am Schnürchen klappt, versteht sich.
20 km Noerdlicher Inylchek-Gletscher
Auf dem Weg zu Lager 1 sieht man weit den Nord-Inylchek-Gletscher nach Westen hinaus (ca. 20 km).

Die Schweizer und eine japanische Gruppe sind heute morgen vom Lager 1 in Richtung Lager 2 aufgebrochen. Um halb drei sind sie auf 5300 m; sie müssen durch sehr viel Schnee spuren. Wenn das Wetter hält, können wir morgen davon profitieren.
Um halb fünf hat es sich fast vollständig bewölkt, einzelne Schneeflocken taumeln zu Boden. Um halb sechs sind es - wie üblich - keine Einzelnen mehr. Nach einem unerwarteten Aufklaren schneit es nachts recht lange, aber mengenmäßig wieder eher wenig.

Samstag, 25. Juli 1998
Lager 1 - Lager 2 und zurück

Aufbruch zu Lager 2. Glücklicherweise nicht so schwer bepackt, wie es ursprünglich nötig gewesen wäre: Der für uns zuständige kasachische Bergführer Jurij trägt für uns (d.h. für die zwölf Summit Club-Teilnehmer) drei Zelte hoch. Dadurch können wir unseres auf mehrere Leute aufteilen, so daß jeder nur ein Drittel Zelt tragen muß.
Heute morgen ist es bei uns sogar wolkenlos, wir können um 7.45 in der Sonne losgehen. Bald wird es warm, obwohl es tatsächlich noch um -7°C sind. Die Route folgt einem Grat und ist durchgehend mit Fixseilen versichert, an denen man sich manchmal recht beherzt hochziehen muß. Meist dürfte es an die 40° steil sein, einige vereiste Felsstufen eher senkrecht (wäre gut III wenn trocken). Zum Glück geht Jurij uns voraus und macht wieder eine Spur aus dem zugewehten Etwas. über lange Strecken ist der Schnee leider überhaupt nicht gesetzt, die Tritte halten nichts. Ohne Fixseil wäre da (aber auch an vielen anderen Stellen) nichts zu machen.
Nach nicht ganz 5 Stunden erreichen wir das 5500 m hoch gelegene Lager 2 in einer weiten Gletschermulde. Eines der Zelte wird gleich aufgebaut; nach zwei Stunden kommen auch die restlichen Kollegen, die später losgegangen waren und mehr Gepäck haben, weil sie heute schon oben übernachten wollen. Wir dagegen gehen wieder ins Lager 1 hinunter, weil wir erstens erst die Hälfte des für den Gipfel benötigten Hausrats oben haben und zweitens es so besser für die Höhenanpassung sein dürfte (go high, sleep down).
Der Herunterweg ist ausgesprochen anstrengend, weil die Fixseile oft so straff gespannt sind, daß man nicht vernünftig abseilen kann. Außerdem ist Abseilen (oder wie auch immer wir uns da halbwegs gesichert herunterarbeiten) in diesem Gelände auf Dauer sehr kraft- und rückenintensiv. So sind wir ziemlich erledigt, als wir nach zwei Stunden wieder in Lager 1 ankommen. Entsprechend werden wir unsere Pläne ändern und uns morgen nicht nochmal da rauf mühen, sondern einen Ruhetag im Basislager einlegen.

Sonntag, 26. Juli 1998
Lager 1 - Basislager

Diese Nacht hat es nicht mal geschneit. Trotzdem, für einen Gipfelsturm sind wir erheblich zu unfit. Nach 1 3/4 Stunden kommen wir durstig im Basislager an. Es ist ein wunderschön sonniger Tag, den man auch vor dem Zelt sitzend verbringen kann. Nachmittags dann Schichtbewölkung und etwas kühler.
Pik Bayankol (5700 m)
Das Basislager liegt am Fuß des Pik Bayankol, ziemlich in der Mitte.

Montag, 27. Juli 1998
Ruhetag im Basislager

Heute morgen überall in der Umgebung eigenartige regelmäßige "Wuff"-Töne. Beim Hinausschauen wird das klar: Die anderen Zeltbewohner schütteln den Schnee vom Dach, indem sie von innen dagegenklopfen. Zehn Zentimeter Schnee im Basislager, und es schneit unaufhörlich. Wird wohl wieder ein Ruhetag werden.
Bald hört man auch die ersten Lawinenabgänge am Khan Tengri und sonstwo um uns herum. Es schneit bis nachmittags, und der Schnee wird höher und höher um uns herum...
Beschaeftigung im Basislager
Irgendwie kann man sich auch im Basislager immer beschäftigen.

Plötzlich wird es heller, und innerhalb einer halben Stunde sind die Wolken verschwunden - es ist warm und sonnig wie gestern.

Dienstag, 28. Juli 1998
Basislager - Lager 1

Heute morgen fliegen Robert und Wolf von der Österreichergruppe wegen Gesundheitsproblemen nach Karkara aus. Nachdem Hans (von den Berchtesgadenern) schon vor vier Tagen die Heimreise angetreten hat, sind wir insgesamt nur noch zu neunt.
Wir gehen erst nach dem Mittagessen los zu Lager 1, denn die Spur ist natürlich zugeschneit, und zu zweit wollen wir das nicht alles durchwühlen - also lassen wir lieber die Engländer vor, die haben noch frischen Schwung, denn sie sind erst drei Tage hier. Außerdem besteht Hoffnung, daß das Essen wieder besser wird. Die letzten zwei Tage war es ziemlich mäßig, da ist offenbar die Köchin nach Karkara geflogen. Heute soll sie wieder im Basislager gesichtet worden sein, und siehe da: Das Mittagessen ist wieder in Ordnung.
Nach dem Essen machen wir uns auf die Socken, leider ohne die Engländer vor uns zu haben (die bleiben wohl doch im Basislager). Immerhin sind drei andere Leute vor uns, die uns die Spurarbeit abnehmen. Die gestrigen Lawinen haben die Spur im Mittelteil ziemlich verwüstet, da gibt's entweder Lawinengebrösel oder bis aufs Eis abgeräumte Bereiche. Diesmal brauchen wir drei Stunden bis Lager 1. Das ist verständlich, denn der Rucksack ist bis auf unentbehrliche Luxusartikel leer (2 Bier, 3 Liter Cola, 1 Liter Fanta u.a.m.).
Das Wetter ist tagsüber schön mit etwas milchigem Himmel, abends bewölkt es sich, und der übliche Schneefall folgt.

Mittwoch, 29. Juli 1998
Ruhetag in Lager 1

Ein ziemlich kurzer Vorstoß heute morgen zeigt uns, daß wir zu zweit kaum eine vernünftige Chance haben, uns durch den tiefen Schnee zu Lager 2 zu wühlen. Die drei, die in der Schneehöhle nahe Lager 1 übernachtet haben, gehen erst spät los und wollen nur zum Akklimatisieren etwas hochschauen.
Morgen dürften die Schweizer hochkommen, dann sind genug Leute zum Spuren da. Wir rasten derweil heute in der Sonne, bis es sich langsamer als üblich bewölkt.

Donnerstag, 30. Juli 1998
Lager 1 - Lager 2

Wieder ein wolkenloser Morgen. Kurz vor acht brechen wir in Richtung Lager 2 auf, zuerst auf einigermaßener Spur; später müssen wir alles selber stapfen, weil die Spur von gestern schon wieder zugeweht ist. Zum Glück holt uns kurz vor Lager 2 ein Schweizer ein und übernimmt die letzten siebzig Meter. Das Lager erreichen wir recht erschöpft nach 5 3/4 Stunden. Aber im gemütlichen Zelt erholt man sich schnell wieder.
kurz vor Lager 2
Kurz vor Lager 2

Am Nachmittag kommen die Südafrikanerin Ulrike und zwei Russen/Kasachen von Lager 3, die gestern auf dem Gipfel waren. Demnach dauert es 15 Stunden hin und zurück von Lager 3. Die Japaner dagegen beziehen alle auch noch Lager 4 am Grat auf 6400 m, wo wahrlich nicht viel Platz sein dürfte. Das scheint Japaner aber generell nicht sonderlich zu stören. Viel lästiger erscheint uns allerdings, daß Lager 4 ein sehr kalter Fleck ist - die Sonne kommt dort erst um elf. Und allzu gut dürfte man auf der Höhe auch nicht schlafen.
Dank der reichhaltigen Essensplanung der Südafrikaner können wir hier oben nicht nur sechs Tage, sondern wahrscheinlich sechs Wochen aushalten. Was sie nicht mehr brauchen, hat Ulrike vorbeigebracht. Zum Abendessen gibt es daher Bolognaisesoße mit Parmesan auf Knäckebrot.
Die Engländer die heute von Lager 1 nach uns hochgekommen sind, scharen sich um das eine Zelt, das ihnen hochgetragen worden ist. Anscheinend hat es Mißverständnisse bei der übernahme der Lasten durch die Träger gegeben.
Lager 2, Khan Tengri
Ein Platz mit schöner Aussicht (natürlich auf den Khan Tengri) in Lager 2.
Abends schneit es heftig. Mal sehen, ob wir morgen zu Lager 3 gehen können.

Freitag, 31. Juli 1998
Lager 2 - Pik Tschapajev Nord - Lager 3

Etwas oberhalb Lager 2
Ein Stückchen oberhalb von Lager 2.

Der sozusagen wolkenloseste Tag überhaupt bis jetzt. Nach einer Nacht völlig ohne Höhenprobleme in Lager 2 ziehen wir in Richtung Lager 3 los. Um dorthinzukommen, müssen wir allerdings den Nordgipfel des Pik Tschapajev überschreiten, was technisch nicht ganz anspruchslos ist. Zwar ist alles mit Fixseilen versichert, aber Kletterei im vereisten IIIer-Gelände mit schwerem Rucksack ist trotzdem nicht trivial. So sitzen wir schon am ersten Steilstück im Japaner-Stau, der uns sicher 20 Minuten kostet. Danach geht's steile Schnee/Geröllhänge hoch, bis oben wiederum ein recht schwieriger kleiner Kamin kommt. Ich vermeide die Kletterei und steige gleich an einer Prusikschlinge zusätzlich zur Steigklemme hoch, aber auch das erweist sich als ganz schön anstrengend. Wir sind ja auch fast auf 6000 Metern. Mühsam ist dann auch die Schneestapferei zum Nordgipfel, wo wir nach 4 1/2 Stunden (für 600 Höhenmeter) ankommen und eine prächtige Aussicht genießen können.
Zum Lager 3 geht es nun noch 300 Höhenmeter durch tiefen Schnee am Grat entlang herunter, unter Wahrung eines Respektabstands zu den riesigen nach Norden überhängenden Wächten.
Wir beziehen die vorhandene Schneehöhle zusammen mit Jacek, einem polnischen Kameraden, und Arkadij, einem russischen Führer. Viel mehr Leute sollten jetzt nicht mehr kommen, mit vier Personen kann man hier noch bequem über die Runden kommen.
Während man in Lager 2 noch gut draußen herumspazieren konnte, ist es hier meist windig. Außerdem ist vor der Schneehöhle kaum Platz, da sie in einen ziemlich steilen Hang gebaut ist. In der Schneehöhle hat die Luft etwa -2 bis -4°C, der Boden ist deutlich kälter.

Samstag, 1. August 1998
Erster Gipfelversuch

Morgens um drei ist es sternklar, wie eine Erkundung der Außenwelt ergibt. Das ist gar nicht so einfach, weil unser Eingang ständig zugeweht und -geschneit wird.
Um halb fünf sind die Sterne noch blaß zu sehen, im Westen überm Pik Tschapajev sieht es aber schwarz aus. Wir warten noch etwas ab mit der Entscheidung zum Gipfelsturm. Um halb sieben befindet Arkadij das Wetter für gut; wir schließen uns dem Aufbruch an und gehen um kurz vor acht Uhr zu viert los. Das scheint für hiesige Führer übrigens in etwa die normale Aufbruchzeit zu sein. Zumindest wohl für diejenigen ohne Stirnlampe.
Der Anstieg folgt zuerst dem flachen Grat, in dessen Schnee die Japaner aber freundlicherweise schon eine Spur gestapft haben. Später geht es dann den Felsgrat hoch. Die Route verläuft meist leicht rechts des eigentlichen Grates durch schneedurchsetzte Felsen, ist aber durchgängig durch Fixseile gesichert. Wenn diese auch teilweise schon bessere Tage gesehen haben dürften. Wenn ein Fixseil durchgescheuert ist, werden häufig die verbliebenen Teile einfach zusammengeknotet. Dadurch werden manche Stücke immer kürzer und bieten immer weniger Ausweichmöglichkeiten bei schwierigeren Passagen. Außerdem gibt es dadurch Knoten bevorzugt an den Kanten, die das Abseilen behindern.
Das Wetter ist mal besser, mal schlechter, läßt aber zu Mittag hin eindeutig eine Tendenz zum Schlechten hin erkennen. Es stürmt und schneit nun schon eine ganze Weile, als uns auf 6400 m Jacek entgegenkommt, und wir drehen kurz darauf (nach 4 1/2 Stunden) ebenfalls um, auf 6450 m. Genau dort begegnet uns noch ein aufsteigender Georgier aus Tiflis, der offensichtlich jeden nach der Uhrzeit fragt und schon ziemlich außer Atem ist. Aber er geht weiter.
Das Herunterturnen an den Fixseilen nimmt eine ganze Menge Zeit in Anspruch, und auch der fast horizontale Schneegrat wirkt nun, da die Spur verschneit ist, sehr länglich. Um halb drei sind wir zurück in der Schneehöhle.
Der restliche Nachmittag ist mit Essen kochen und Ausruhen gut ausgefüllt, und in Anbetracht des draußen herrschenden Mistwetters ergibt sich gegen Abend die Frage: Wo bleibt Arkadij? Wie per Funk zu erfahren ist, war er gegen sechs Uhr am Gipfel. Um zehn wird es aber dunkel, und er hat keine Lampe dabei. Fast sind wir schon erlöst, als es um zehn Uhr poltert - aber wer da kommt, ist der Georgier, der auf 6800 m umgedreht hat. Schlafsack hat er keinen, Kameraden auch keine, die ihn suchen würden. So fertig wir der ist, weiß er wahrscheinlich nicht mal mehr seinen eigenen Namen.
Nachdem er ihm ein Stück entgegengegangen ist, kommt Jacek um Mitternacht mit einem sehr erschöpften Arkadij wieder.

Sonntag, 2. August 1998
Lager 3 - Basislager

Morgens um drei: ein unglaublich makelloser Sternenhimmel. Bei der klaren Luft in dieser Höhe sieht man so viele Sterne, daß man gar keine Sternbilder mehr erkennt. Wagen wir also noch einen Versuch zum Gipfel.
Fertig angezogen, um fünf: blasse Sterne und undurchdringliches Schwarz hinterm Pik Tschapajev, einige Schneeflocken taumeln durch die Luft. Da wird das Wetter also wieder wie gestern - zurück in die Koje, weiterschlafen.
Die Kameraden des Georgiers - er hatte natürlich doch welche - kommen herein und machen ihn rund, weil er einfach ohne sich zu melden in einer fremden Schneehöhle verschwunden ist. Zu Recht, was hätte beispielsweise Jacek gestern abend gesagt, wenn Arkadij sich einen schönen Abend im Zelt der Japaner gemacht hätte, während er draußen nach ihm sucht?
Morgens um acht ist es - reingefallen! - fast wolkenlos. Soviel also zur selbst kurzfristigen Vorhersagbarkeit des Wetters. Jetzt ist es sowieso zu spät, und für einen weiteren Tag hier oben reichen die Vorräte nicht aus. Außerdem dürfte der gestrige Gipfelversuch unsere Leistungsreserven ziemlich angegriffen haben, es wäre sowieso fraglich, ob wir heute eine Chance gehabt hätten. Rückzug ins Basislager.
Leicht gesagt: Da ist der Pik Tschapajev Nord im Weg; immerhin knapp 300 Höhenmeter, die es in sich haben, wenn die Spur verweht ist. 2 1/2 Stunden bis zum Gipfel. Ab dort 1 1/2 Stunden Fixseil-Turnerei herunter zu Lager 2, wo wir alles wichtige für die Hochlager deponieren (Isomatte, Schlafsack, warme Kleidung). Mittlerweile wechseln Schneefall und Sonne sich ab.
In knapp zwei Stunden an den oft zum Abseilen zu straffen Seilen herunter zu Lager 1 (Deponieren der Eisgeräte) und eine Stunde zum Rand des nördlichen Inylchek-Gletschers (Deponieren von Steigeisen und Anseilgurt). Nun noch eine Dreiviertelstunde über den Gletscher, und dann kommt der Großangriff auf die Getränkevorräte im Basislager. Mittlerweile schneit es fast ständig.
Die nächsten Summit Club-Gruppen sind heute angekommen. übrigens ist auch ihr Expeditionsgepäck noch beim Zoll in Almaty.
Die Schweizer sind, anders als wir, heute morgen um fünf losgegangen und haben den Gipfel nach 10 Stunden erreicht. Zwar kein perfektes Gipfelwetter, aber immerhin ganz passabel.

Montag, 3. August 1998
Ruhetag im Basislager

Bei der morgendlichen Funkverbindung (die wir auch im Basislager mithören, um über die Lage weiter oben im Bilde zu bleiben) erfahren wir, daß einer der Schweizer in Lager 3 gestern abend beim Abstieg Probleme bekommen hatte (wahrscheinlich ein Lungenödem) und nun nach der Nacht in schlechter Verfassung ist. Die Schweizer erreichen, daß - anstatt daß ein überdrucksack vom Hubschrauber abgesetzt wird und eine Rettungsmannschaft zu Fuß hochkommt - der Kranke direkt auf dem 5800 m hoch gelegenen Sattel vom Hubschrauber aufgenommen wird. Wenn auch nach mehrmaligen Anflugversuchen; diese Höhe ist für einen Hubschrauber ziemlich an der Grenze, und richtig landen kann er da oben auch nicht mehr. Später erfahren wir, daß das die erste Bergung überhaupt von dort oben war.
Unsere sieben Kameraden haben sich heute für ihren Gipfeltag bestes Wetter "ausgesucht". Fünf von ihnen erreichen nach ca. 9 Stunden den Khan Tengri von Lager 3 aus. Erst am Abend bewölkt es sich.
Wir haben dagegen heute Badetag - auf Vorbestellung bekommt man im Waschzelt warmes Wasser.
Heute ist die geführte Gruppe vom Summit Club angekommen: allerdings ohne Führer. Der werkelt noch in Almaty, um das Gepäck aus dem Zoll zu bekommen.

Dienstag, 4. August 1998
Ruhetag im Basislager

Schon wieder Ruhetag. Gelegenheit, sich über die kulinarischen Seiten unseres Aufenthalts auszulassen:
Das Frühstück besteht aus Grieß- oder Haferbrei oder ähnlichem; Milchnudeln haben wir im Basislager Inylchek noch nicht bekommen (müssen). Daneben gibt's Brot und Marmelade, für die man allerdings ein Messer bräuchte (oft nicht vorhanden). Liebhaber der russischen Essensgewohnheiten können zu den Ölsardinen greifen. Zu Trinken gibt es Schwarztee, in einer Kanne der konzentrierte Tee, in der anderen Wasser zum Verdünnen.
Das Mittagessen beginnt mit einer Suppe, in der eine Kombination aus Fleischstückchen, Kartoffeln, Buchweizen, Gemüse oder was sonst vom Vortag übriggeblieben ist, schwimmt. Das Hauptgang ist etwas ähnliches ohne Suppe. Eine besondere Fertigkeit der Basislagerköche ist es, die Gäste niemals ein Stück Fleisch größer als ein Kubikzentimeter sehen zu lassen. Wie auch die Suppe, ist der zweite Gang immer gut gewürzt. Dazu gibt es Salat - entweder geriebene Möhren mit viel Knoblauch oder Tomaten und Gurken oder Krautsalat im Aktenvernichterformat (kleine Streifen) mit scharfer Soße. Gegebenenfalls folgt als Nachtisch: Pflaumen, Melone, oder Schokocreme. Zu Trinken gibt es Kompott (dicker Fruchtsaft).
Das Abendessen ist dem Mittagessen sehr ähnlich, außer daß die Suppe fehlt und es wieder Tee gibt.
Wen das alles nicht begeistern kann, der muß sich halt an den Teller mit Keksen und Bonbons halten, der immer herumsteht.
Und wer keinen Tee mag, der kann sich "richtige" Getränke dazukaufen: einen Liter Saft, Fanta oder Cola für US$ 2, die Dose Bier für US$ 3.
Unsere Kollegen kommen am Nachmittag von Lager 3 herunter und werfen jetzt unnötige Dinge wie Steigeisen in hohem Bogen von sich. Abends können sie unter nicht gerade geringfügigem Bier- und Wodkaaufwand (wie hier eben üblich) mit dem Lagerpersonal den Gipfelsieg feiern. Wir feiern vorsichtshalber ein bißchen mit, wer weiß ob wir selber später was zu feiern haben.

Mittwoch, 5. August 1998
Basislager - unteres Lager 1

Auf dem Weg zu Lager 1
Auf dem Weg zu Lager 1

Wieder mal voll bepackt mit allem, was wir der Bar gegen Bares abluchsen konnten, machen wir uns auf den Weg nach oben, zu einem hoffentlich erfolgreichen neuerlichen Gipfelangriff. Eigentlich wollen wir bis Lager 2 kommen, denn außer den paar Colaflaschen haben wir so gut wie nichts im Gepäck, aber leider ist die Spur wieder mal verschneit, und ganz so toll erholt wie gewünscht haben wir uns an den zwei Ruhetagen wohl doch nicht. So ist erst mal Schluß im unteren Lager 1.
Mein hier plötzlich auftretender Durchfall bekräftigt diesen Entschluß. Außerdem ist das Wetter nicht sonderlich kooperativ: Morgens begann es mit Sonne am diesigen Himmel, jetzt ist nur noch ein heller Fleck auszumachen. Zum Glück haben die am Sonntag angekommenen Kameraden schon Ausrüstung in Lager 1 und können uns dort Schlafsäcke und Isomatten leihen (sie selbst übernachten erst morgen hier). Unser eigenes Zeug ist schließlich oben in Lager 2.
Ich werde den Eindruck nicht los, daß geführte Expeditionen ihre Teilnehmer aus Leuten rekrutieren, die nicht wissen, wie man ein Zelt aufbaut. Oder daß zumindest der Eindruck entstehen soll, daß man mit diesen Fertigkeiten der ideale Teilnehmer ist?

Donnerstag, 6. August 1998
Unteres Lager 1 - Lager 2

Das Wetter ist ähnlich wie gestern, eher noch etwas schlechter: Es bewölkt sich schon mittags vollständig und schneit dann. Genau am schwierigsten Stück von Lager 1 nach Lager 2 kommen uns die Engländer abseilenderweise entgegen - 20 Minuten aussetzen.
Fünf Stunden bis zum Lager 2; außer uns sind nur noch zwei Niederländer da, und ein Japaner kommt 1 1/2 Stunden nach uns und bezieht sein "Zelt" genanntes Etwas mit ungefähr einem Quadratmeter Grundfläche, die sich während des nächtlichen Schneefalls weiter verringert.

Freitag, 7. August 1998
Lager 2 - Pik Tschapajev Nord - Lager 3

Die letzte Nacht war etwas unruhig, da Claudias Verdauung den Großaufstand proben mußte. Mein Durchfall von gestern ist dagegen ruhig geworden. Alles in allem keine übermäßig guten Voraussetzungen für den Weg nach Lager 3. Das Wetter dagegen sieht ganz gut aus: Nachdem es die ganze Nacht geschneit hat, liegen jetzt die Wolken unter uns, und es scheint die Sonne.
Also gut, schauen wir halt mal. Es sind ja schon drei Leute vor uns, die uns das leidige Thema Spur abnehmen. Der Weg auf den Pik Tschapajev Nord zieht sich tatsächlich heute enorm, und als wir oben sind, sind wir am Ende unserer Kräfte. Aber runter müssen wir auch noch bis zur Schneehöhle, das dauert nochmal eine Stunde. Ohne uns wären allerdings die zwei verbliebenen Kollegen (einer hatte umgedreht) in der drangvollen Enge der kirgisischen Schneehöhlen geblieben, denn unsere hatten sie nicht gefunden. So verbringen wir den Abend zu viert mit Japaner Katori und Holländer Hank.

Samstag, 8. August 1998
Ruhetag in Lager 3

Wie zu erwarten war, sind wir heute noch zu schlaff, um uns an den Gipfel zu machen. Katori hat Kopfschmerzen, also geht Hank alleine los. Wir legen derweil einen Ruhetag ein, was aber nicht heißt, daß wir einfach nur faul herumliegen - viel Essen und Trinken ist Pflicht. Dabei gibt es beim Essen durchaus gewisse Probleme: Leberwurst ist erst nach längerem Aufenthalt im Schlafsack in eßbarer Konsistenz, und die Thunfischdose muß erst eine halbe Stunde im Wasserbad eisfrei gemacht werden. Außerdem dauert es jedesmal knapp eine halbe Stunde, bis man aus dem Schnee kochendes Wasser gewonnen hat.
Immerhin findet sich in den Vorräten, die uns von Jacek und Arkadij hier hinterlassen worden sind, auch Interessantes. Der Renner: eine sehr gute Wurst aus Jekaterinburg.
Am Nachmittag kommen zwei Italiener dazu; sie zwängen sich beide neben unsere Plätze, es wird also ziemlich eng. Um zwanzig nach sieben ist Hank wieder da; er hatte recht schönes Wetter, mußte aber alles spuren. Das ist im Gipfelbereich eine ziemliche Schinderei.

Sonntag, 9. August 1998
Khan Tengri

Der morgendliche Blick aus der Höhle hat das übliche Ergebnis: Kein Wetter, dem man zutraut, schön zu werden. Aber noch ein Ruhetag dürfte unseren Getränkereserven nicht zuzumuten sein. Immerhin schneit es nicht, als wir um sieben Uhr aufbrechen. Unser Gepäck besteht aus einer Flasche Cola (in einer umgebauten Rucksack-Außentasche auf dem Rücken), einer Thermosflasche Tee (umgehängt) und mit Müsliriegeln, Gummibärchen und diversen anderen Dingen vollgestopften Taschen der Daunenjacke. Insgesamt sind wir zu fünft (die zwei Italiener, Katori und wir zwei), und von Süden kommen noch eine Russin und ein Russe dazu.
Am Beginn der Querung
Am Beginn der Querung, noch 450 m zum Gipfel. Deutlich erkennt man das Couloir über der Steilstufe.

In mäßigem Wetter - zeitweise schneit es - brauchen wir 3 3/4 Stunden bis Lager 4. Die Route folgt auch oberhalb noch fast 200 Höhenmeter dem Grat, dann kommt eine Querung nach rechts, und über eine kurze Steilstufe (10 Meter II mit ausgezeichnetem Fels) erreicht man ein trichterförmiges, ziemlich steiles Schneecouloir. Das ist aber alles kein Problem, weil durchgängig mit Fixseilen gesichert; es wird höchstens langsam anstrengend. Mittlerweile liegt die Wolkendecke unter uns, und es ist sehr warm und sonnig.
Das Ende des Couloirs liegt auf ca. 6700 m. Von hier führt ein sehr zweifelhaftes Fixseil eine Felsstufe hoch, über der sich ein weiter Schneehang erhebt, der sich langsam zurückneigt. Hier wird der Rest des Aufstiegs sehr mühsam, und man kann die Zeit bis zum Gipfel nicht vernünftig schätzen, weil man ja gar nicht weiß, wo der sich genau befindet. Nach dem Hang und einem kurzen Schneegrat wird es wieder felsig, und plötzlich ist der Berg zuende. Dort steht das Vermessungszeichen 6995 m - auf dem höchsten felsigen Untergrund, und die Gipfelwächte daneben erhebt sich zu der angegebenen Höhe von 7010 m.
Das Vermessungszeichen auf 6995 m
Das Vermessungszeichen auf 6995 m, mit dem Pferdeschweif, den die Bulgaren vor ein paar Tagen hochgebracht haben.

Um 17 Uhr ist der Gipfel erreicht, das letzte Stück quälend langsam mit 5-10 Atemzügen pro Schritt, und mein hartnäckiger Höhenhusten tut sein übriges dazu.
Die meisten kleineren Berge sind in den Wolken unter uns verschwunden, und in der Höhe verdichten sich die Wolken auch. Die Aussicht zwischen diesen beiden Wolkenschichten reicht weit und ist - auch wenn dort keine anderen Berge zu sehen sind - beeindruckend.
Sicht zum Pik Pobeda
Der Pik Pobeda ist als einziger Berg noch in den Wolken zu sehen. Im Vordergrund der Marmorgrat des Khan Tengri.

Im Gipfelbereich ist es windig und kühl (allerdings tatsächlich sicher nicht unter -15°C), besonders als die höheren Wolken die Sonne verdecken. Wir bleiben daher nur kurz.
Schon am obersten Fixseil ist es wieder angenehmer. Die Fixseile hinunter kann man meist abseilen; bei einigen der durchgescheuerten Exemplare bietet sich auch Abklettern an. Oft stören auch Knoten das flüssige Abseilen.
Unser japanischer Kollege klettert anfangs fast alles ab, wohl in einer Fehleinschätzung der Zeit, die man für die 1200 Meter braucht. Besonders bei der mangelnden Konzentration, die einen nach dem zehnstündigen Aufstieg befällt, ist das Abseilen nicht nur meist schneller, sondern auch sicherer. Den Rest der Strecke steige ich mit Katori zusammen ab, während Claudia schon zu Lager 3 vorgeht. Trotz nun forciertem Tempo kommen wir in die Dunkelheit, und das auch noch mit dem üblichen abendlichen Schneefall. Um zehn Uhr erreichen wir das letzte Fixseil, und nun kommt nur noch der lange Weg über den Schneegrat. Die an der Abzweigung zur Schneehöhle von Claudia befestigte Stirnlampe ist bei diesen Sichtverhältnissen eine große Hilfe. Um 23.10 Uhr sind wir zurück in der Schneehöhle, und die erste Aktion ist, kräftig zu trinken (denn das kam unterwegs etwas kurz). Der Hunger meldet sich erst während der Nacht zaghaft.

Montag, 10. August 1998
Lager 3 - Basislager

Die Nacht war kurz, eng und irgendwie nicht sonderlich erholsam. Man hat Hunger, aber auch irgendwie nicht, ist erschöpft, kann aber nicht richtig schlafen. Um halb acht beginnen wir, aufzuräumen und zu "frühstücken". Katori legt noch einen Ruhetag ein; wir machen uns um halb zehn auf den Weg zurück ins Basislager. Ein sehr beschwerlicher Weg, denn es schneit immer noch, und die Spur auf den Pik Tschapajev Nord ist wieder mal fast völlig verschwunden. 3.20 Stunden für die 300 Höhenmeter durch weißes Nichts.
Das Abseilen zum Lager 2 geht dagegen abgesehen von den Lawinen ganz gut. In Lager 2 treffen wir Walter (von einer der "neueren" Summit Club-Gruppen), der uns mit Tee begrüßt und sich ansonsten dort schrecklich langweilt, weil das Lager außer ihm völlig verlassen ist und er nichts zu Lesen hat. Sein Kollege Christoph war schon einen Tag vorher durchgestartet und ist heute am Gipfel beschäftigt.
Der Weg von Lager 2 zu Lager 1 ist sehr unangenehm zu gehen. Oben eine harte Schicht unter völlig haltlosem Pulverschnee, weiter unten eine ausgetrenene harte Rinne, in der man nur mit Steigeisen vernünftig Halt findet - aber es ist so warm, daß der Schnee ständig an den Eisen anstollt und man sie für jeden Schritt freiklopfen muß.
In Lager 1 noch das Zelt mitgenommen, sind wir um dreiviertel sieben am Rand des Inylchek-Gletschers, wo noch ein deponierter (glücklicherweise leerer) Rucksack auf uns wartet. Um zwanzig vor acht laufen wir - nur Minuten vor dem Eintreffen einer Schnee/Regenfront - im Basislager ein. Endlich wieder Apfelsaft und Bier.

Dienstag, 11. August 1998
Inylchek - Karkara

Auch wenn das Basislager um Größenordnungen bequemer ist als beispielsweise Lager 3, drängt es uns in Richtung zuhause. Soviel Mühe und Zeit, wie uns der Khan Tengri gekostet hat, ist es kaum vorstellbar, daß und am Pik Pobeda irgendein Erfolg beschieden wäre. (Von Kazbek erfahren wir später, daß dort etwa 20 Bergsteiger nicht über 5700 m hinauskommen, weil es ständig schneit und die Lawinengefahr zu groß ist.)
Eine Summit Club-Trekkinggruppe wird heute nach Karkara hinausgeflogen, und so ergibt sich für uns ziemlich überstürzt die Abreise. Mittlerweile ist der Flugverkehr nicht mehr so rege wie am Anfang, als täglich sogar mehrere Flüge hinausgingen. In einer Stunde ist alles verpackt, und wir fliegen am endlosen Nördlichen Inylchek-Gletscher und nach Nordwesten erst über Gletscher, dann über dieses eigenartige Grün, das man außerhalb von Inylchek Gras zu nennen pflegt, nach Karkara - wo es regnet.
Jetzt müssen wir es nur noch irgendwie schaffen, früher als gebucht (26.8.) einen Rückflug zu bekommen. Kazbek ist da nicht sehr optimistisch und redet von 20 Plätzen überbuchung bei der AUA. Aber zwei Wochen in Karkara müssen auch nicht unbedingt sein.
Nach 3 1/2 Wochen kommen wir in Karkara endlich wieder in den Genuß einer richtigen Dusche. Hier unten im Warmen merkt man das Aroma, das man am Berg so angesammelt hat, viel deutlicher als im kalten Lager Inylchek.
Zu Essen gibt es Fleisch in richtigen Stücken (optisch sichtbare Größe) , paniert.

Mittwoch, 12. August 1998
Karkara - Almaty

Auch bei der Fahrt nach Almaty schließen wir uns der Trekkinggruppe an. Schnell alles zusammenpacken haben wir ja schließlich schon gelernt. Die Trekkinggruppe war übrigens im Wesentlichen das gelaufen, was wir mit dem Hubschrauber zurückgelegt haben.
Abfahrt mit dem Bus um halb zehn; als einzige Unterbrechung eine Mittagspause an einer landschaftlich schönen Schlucht und ein Reifenplatzer in landschaftlich weniger reizvoller Steppe. Die beiden Radarkontrollen auf der Strecke gelten der Gegenrichtung, und der Fahrer hält sich sowieso an die Vorschriften. Um drei Uhr sind wir in Almaty. Reiseführer Jermek kann uns schon bald mitteilen, daß es am Freitag tatsächlich noch Plätze nach Wien gibt. Schnell zum AUA-Büro gerannt und diese - unter Bezahlung von $ 100 Strafgebühr, weil unser Rückflugtermin fix war - umgebucht.
Den Rest des Nachmittags sehen wir uns ein bißchen die Innenstadt an. Da der Stadtplan, den wir im Hotelzimmer vorgefunden haben, allerdings rumänischsprachig ist (und noch aus Sowjet-Zeiten), ist nicht alles so ganz verständlich.
Das Hotel Otrar, in dem wir untergebracht sind, scheint eines der besten der Stadt zu sein; das Buffet findet unseren Gefallen.
Strassenbahn in Almaty
Das gelb-rote Straßenbahn-Fossil von Almaty ist schon weithin hörbar.

Holzkirche, Almaty
Almaty, Holzkirche im Park im Stadtzentrum.

Donnerstag, 13. August 1998
Almaty

Mit der Gruppe, die uns sozusagen "adoptiert" hat, machen wir eine Stadtrundfahrt. Vom Berg Kok-Tjube hat man einen schönen Blick auf die Stadt hinunter, und man sieht auch sehr gut, wie nahe die Vier- und Fünftausender des Sailijskij Alatau an der Stadt liegen.
Danach folgt das kasachische Nationalmuseum; unser Mittagessen nehmen wir in einem der Straßencafés ein, die es mittlerweile haufenweise gibt (Schaschlik, Fleischsalat - ohne durchschlagende Folgen); am Nachmittag noch ein bißchen Einkaufen im Bazar, der sehr ordentlich und sauber ist, entgegen dem Eindruck des Wortes "Bazar" vielleicht für deutsche Ohren.
Bemerkenswert auch: überall sind Getränke wie Cola, Fanta oder Bier zu bekommen. Eigenartigerweise aber gibt es praktisch ausschließlich holländische bzw. norddeutsche Biere (Holsten, Heineken oder Bavaria).

Freitag, 14. August 1998
Almaty - Wien - München

Heute heißt es früh aufstehen: Um ein Uhr fährt uns der Bus zum Flughafen. Die Eincheck-Prozedur dauert, verläuft aber ohne Probleme. Kurz nach vier startet das (fast vollbesetzte) Flugzeug nach Wien, wo wir um sechs Uhr Ortszeit ankommen. Nun noch eine Stunde nach München, und bald sind wir wieder zuhause.

Danksagung

Wie immer im fernen Ausland, wäre alles viel viel schwieriger gewesen, hätte es nicht Leute gegeben, die sich um uns gekümmert haben:
  • Samat, Dolmetscher im Basislager Inylchek, hat unsere Problemchen immer erhört und umgehend gelöst, soweit sie überhaupt lösbar waren. Außerdem ist es nicht selbstverständlich, in einem kasachischen Bergsteigerlager einen Dolmetscher vorzufinden, mit dem man jedes deutsche Wortspiel teilen kann.
  • Dem Küchenteam im Basislager Inylchek Nord verdanken wir praktisch durchfallfreie, gut ernährte Zeiten, in denen wir immer wieder gerne an die Fleischtöpfe im Tal zurückgekehrt sind.
  • Jurij war uns beim Spuren eine große Hilfe und hat uns durch seine fast unerschöpfliche Energie beeindruckt.
  • Jacek verdanken wir umfangreiche Essensvorräte in Lager 3, ebenso auch Ulrike aus Südafrika.
  • Die anderen beiden Summit-Club-Gruppen, die mit uns zusammen angereist waren, haben sich als sehr gute Kameraden gezeigt, die uns auch in der Ausrüstung der Hochlager sehr entgegengekommen sind.
  • Dem "Gipsy Team" danken wir für das Asyl in Zelt und Schlafsack im Lager 1, als unsere Sachen ein Lager weiter oben waren.
  • Günter Kämpfe und seiner Summit Club-Trekkinggruppe sind wir für die spontane "Adoption" verbunden.
  • Jermek, der örtliche Reiseführer der Summit-Club-Trekkinggruppe, hat schnell für uns den Rückflug organisiert, auf den wir so bald gar nicht zu hoffen gewagt hatten.

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Letzte Änderung am 05. November 1998 durch Hartmut Bielefeldt